«Die Hamas kennt nur zwei Geschlechter»: Die Berliner Anwältin Seyran Ates wundert sich über manche Unterstützer des Terrors und schliesst vorerst ihre liberale Moschee
Sechs Jahre war die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee für alle offen. Dort steht man für das unverhandelbare Existenzrecht Israels ein. Jetzt wird ihre Gründerin nicht einmal mehr zur Islamkonferenz eingeladen.
Seyran Ates hat schon immer gefährlich gelebt. Es war ein Wagnis, eine liberale Moschee zu eröffnen, in der Männer, Frauen und queere Personen gemeinsam beten und in der auch Frauen Muezzins sein können. Angefeindet wurde Ates deswegen seit Anbeginn, sie lebt schon lange unter Personenschutz. Doch nun soll die Moschee auch noch als Anschlagsziel im Visier von Islamisten sein. Deshalb wird das liberale Gotteshaus nun nach sechs Jahren schliessen. Ein Anruf bei Ates.
Frau Ates, warum schliessen Sie Ihre Moschee? Angefeindet wurden Sie ja von Anfang an.
Ich habe aus einem Beschluss des Bundesgerichtshofs erfahren, dass Terroristen unsere Moschee als Anschlagsziel vorgesehen haben. Die Planungen dafür liefen demnach schon über ein Jahr. Hinzu kommt aktuell unsere Positionierung gegen die Hamas als Terrororganisation und für Israel mit der Überzeugung des unverhandelbaren Existenzrechts und «Nie wieder ist jetzt». Damit haben wir erneut viel Wut und Verärgerung bei Leuten hervorgerufen, die uns Nachrichten schicken, dass wir enthauptet werden sollten. Aus diesem Grunde haben wir als Team beschlossen, dass wir vorübergehend schliessen.
Woher nehmen Sie den Optimismus, dass es nur vorübergehend ist?
Ich bin ein optimistischer Mensch, auch wenn dazu aktuell wenig Anlass besteht. Es gibt auch sehr viel Zuspruch. Im Grunde brauchen wir nur ein Gebäude, das wir wirklich gut absichern können. Wir haben ein Projekt «Anlaufstelle Islam und Diversität». Das ist das, was die meisten Menschen aufregt, dass wir das Thema Islam und LGBTQI+ bearbeiten. Und damit hat sich seit letztem Jahr, weil wir auch die Regenbogenfahne gehisst haben, der Hass auf unsere Moschee noch mal um ein Vielfaches gesteigert. Die Bedrohungen haben sich verstärkt.
Derzeit sind befremdliche Solidaritätserklärungen zu sehen, zum Beispiel «Queers for Palestine». Ist diesen Menschen bewusst, dass sie im Grunde für ihren eigenen Tod demonstrieren?
Das ist total unverständlich. Es sind ja viele LGBTQI-Leute aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen nach Israel geflüchtet, weil sie dort sicherer leben konnten, und manche wurden von ihren muslimischen Familien zurückgelockt und getötet. Die Hamas kennt nur zwei Geschlechter, das wird von diesen Demonstranten anscheinend ausgeblendet. Ich habe auch nie verstanden, warum gewisse LGBTQI-Kreise sich so extrem für das Kopftuch der muslimischen Frau eingesetzt haben, obwohl das doch die orthodoxe Form der Frauenrolle ist. Das ist nicht nachvollziehbar, weil sie diejenigen wären, die als LGBTQI-Personen gleichzeitig mit den Frauenrechten vernichtet werden würden.
Worum geht es denn dann?
Ich nehme an, um die Opferrolle. Das ist schön bequem. Die rechtfertigen es darüber, dass sie Minderheiten schützen. Sie sehen ausschliesslich die Frau als Opfer. Sie will das Kopftuch tragen und darf es nicht. Sie will Lehrerin sein und darf es nicht.
Die Anschlagspläne gibt es wohl schon länger, aber Sie haben davon erst jetzt gehört?
Ja. In dem Beschluss des Bundesgerichtshofs geht es eigentlich um die Verlängerung der Untersuchungshaft für acht Männer aus Tadschikistan und anderen Ländern Zentralasiens, die kurz nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs über die Ukraine und Polen nach Deutschland kamen und hier Anschläge planten. Unsere Moschee gilt ihnen als «Ort der Teufelsanbetung». Bei uns beten alle gemeinsam, die Moschee steht jedem offen. So kamen wir in ein Online-Magazin der islamistisch-jihadistischen Gruppierung ISPK und wurden Anschlagsziel – neben vielen jüdischen Einrichtungen. Die Lebensweisen von Juden wurden genau ausgeforscht.
Seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober habe ich mit meiner palästinensischen Verwandtschaft die Narrative verglichen, und wir konnten feststellen, dass die Berichterstattung in den arabischen Ländern völlig anders ist als hier. Die bestialischen Akte der Hamas werden bestritten, Israel erscheint als alleiniger Aggressor. Es gibt nicht einmal eine gemeinsame Tatsachengrundlage, die als Basis für einen Austausch dienen könnte.
Das kann ich genau so bestätigen für meine türkische Verwandtschaft. Die ganze Medienberichterstattung ist vollkommen anders als hier, auch inhaltlich. Und die Berliner Schulkinder sind jetzt in den Ferien und bekommen zu Hause die Feindbilder eingetrichtert, weil sie den ganzen Tag dem dortigen Fernsehen und der Hamas-Propaganda ausgesetzt sind.
Und dann kommen sie nach Berlin zurück und tragen es auf die Sonnenallee? Die Strasse geriet schon Silvester in Verruf wegen schwerer Krawalle, und immer wieder wird dort auch die Vernichtung Israels gefordert. Wenn Sie so etwas sehen, verzweifeln Sie da nicht?
Ich bin verzweifelt und optimistisch zugleich. Der neue Berliner Senat unter dem Bürgermeister Kai Wegner ist eine Wohltat im Vergleich zur katastrophalen rot-rot-grünen Vorgängerregierung. Wegner hat sich klar auf unserer Seite positioniert. Das stimmt mich optimistisch. Verzweifelt bin ich eher wegen der Bundesinnenministerin, Nancy Faeser. Sie hat die Islamkonferenz einberufen mit dem Thema Muslimfeindlichkeit. Als ob das aktuell das Problem wäre! Das Thema muslimischer Antisemitismus wurde erst auf Druck dazugenommen und soll nur mit den Verbänden diskutiert werden. Und die wichtige Arbeitsgruppe innermuslimische Konflikte wurde aufgelöst. Aber was soll’s – ich bin ja nicht eingeladen.
Waren Sie nicht Gründungsmitglied?
Ich war von Anfang an dabei, später nur noch als Gast. Ich bin in einer Whatsapp-Gruppe mit Ahmad Mansour, Susanne Schröter, Ruud Koopmans und anderen, dort habe ich erfahren, dass eine neue Islamkonferenz stattfindet. Koopmans hat seine Teilnahme abgesagt, weil er Muslimfeindlichkeit aktuell für die falsche Thematik hält. Ich bin anscheinend die ungeliebte alte Tante, die man eine Zeitlang noch einladen musste. Jetzt kommt man ohne mich aus. Ich werde natürlich weiterkämpfen. Alle Fortschritte, die es gegeben hat, mussten erkämpft werden – das Frauenwahlrecht, der Zugang zur Anwaltschaft, die Gleichstellung im Recht. Geschenkt gibt es nichts.
Author: Wendy Adams
Last Updated: 1703284803
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