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Keiner möchte die müden Affen mehr haben


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    Bei Christie’s und Sotheby’s, Auktionshäuser für alte Meister, schien eine Revolution im Gange. 2021, mitten in der Corona-Pandemie, entfaltete sich ein Boom um tatsächlich künstliche Kunst, um handelbare Werke, ein jedes ein Einzelstück, in denen sich Digitalkünstler verewigten und, beruhend auf der Blockchain-Technologie, auf der auch Kryptowährungen aufbauen, bleibende Werte anzubieten hofften. Einigen mögen noch die Abbildungen seltsam gelangweilter Affen in Erinnerung sein, mit denen in jeweils anderer Anmutung Einzelwerke unter die Leute gebracht wurden. Von fragwürdiger Schönheit, aber angeblich fälschungssicher und dereinst höchst wertvoll, gerieten Sammler und Geldanleger aus dem Häuschen – und Händler natürlich erst recht. Der Name: NFT, Non Fungible Token, zu deutsch: Nicht austauschbarer (Krypto-)Wert. Jedem dieser Werke ist untrennbar eine Codefolge zugeordnet, der Besitzer jederzeit klar nachvollziehbar wie auch der Weg des digitalen Bildes durch Zeit und Cyberspace. Im März 2021 also wechselte bei Christie’s ein Erzeugnis des Künstlers Mike Winkelmann, bekannt als Beeple, den Besitzer. Die digitale Collage „The First 5000 Days“, anfangs mit 100 Dollar bepreist, verließ den Auktionssaalcomputer für 69,3 Millionen Dollar.

    Der Stundenlohn dürfte in Ordnung sein für Beeple. Inzwischen allerdings sind zwei Jahre vergangen, und die Eigentümer diverser Affengesichter (Bored Ape Yacht Club (BAYC) und anderer unverwechselbar scheußlicher Werke fragen sich, was damals wohl in sie gefahren sein mag. Laut der Kryptowährungs- und Spieleanbieter Dapp Gambl erbrachte eine Bestandsaufnahme der existierenden NFT-Sammlungen die Zahl von 73.257 Kollektionen solcher Tokens. Und von denen sind 69.795 faktisch wertlos. Nicht handelbar. 95 Prozent der Anleger sitzen auf Investments, die keiner haben will – „eine Zahl, die einem die Augen tränen lässt“. Bewertet werden solche NFTs in der Kryptowährung „Ether“. Und als wertlos deklariert hat Dapp Gambl solche, die 0 Ether wert sind; derzeit kostet ein Ether rund 1600 US-Dollar. Die allermeisten NFTs sind außerdem nur Teilbesitz, zahlreiche Anleger haben daran jeweils einige Prozent erworben. Fazit des Krypto-Portals: Es gibt ungeheuer viel mehr Angebot als Nachfrage. In der Tat ist der Handel von seinem Höhepunkt im August 2021 verglichen mit heute zusammengebrochen. Vor gut zwei Jahren wurden monatlich mit NFTs 2,8 Milliarden Dollar Handelsvolumen erreicht. Heute sind es noch 240 Millionen Dollar, weltweit. Comeback nicht ausgeschlossen, aber fraglich.

    Der Hype um die Kunst folgte den wohlbekannten Mustern – von der Amsterdamer Tulpenzwiebel-Hysterie der frühen Neuzeit bis zum Neuen Markt der Technologiewerte um die Jahrtausendwende. Heute verkünden die unzähligen Handels- und Nachrichtenplattformen der Kryptowelt, dass man doch bitte nicht auf dem Höhepunkt einer Modewelle kaufen solle; mit der unbeantworteten Gegenfrage, woran man denn den Höhepunkt erkenne und die Tatsache, dass es sich um eine Mode, eine Blase handele. Auch die Kryptowährungen selbst von Bitcoin bis Ether haben ihren tatsächlichen Nutzen und inneren Wert noch nicht unter Beweis gestellt. Nannte der Starinvestor Warren Buffett die Kryptomanie noch ein Betrugsschema der besonderen Art, so waren bereits die Exzesse des Neuen Marktes für den verstorbenen Börsenguru André Kostolany ein „abgekartetes Casino-Spiel mit gezinkten Karten“. Es scheint nur ein verlässliches Muster zu geben, so Börsenpsychologen: Hinterher ist man schlauer, und das Vertrackte an der plötzlichen Begeisterung bleibt, dass einige damit tatsächlich unfassbar reich werden, und hin und wieder eine solche Mode doch Elemente aufweist, die Bestand haben. Nicht alle Aktiengesellschaften des Neuen Marktes sind untergegangen, und möglicherweise bleiben auch einige NFTs dank ihrer Originalität ein bleibender Wert, wenn auch auf niedrigerem Niveau als 2021. So sind derzeit gut vierzig Prozent der Sammlungen zwischen fünf und 100 Dollar wert. Nur ein Prozent notiert über 6.000 Dollar. Und auch das mag noch positiv übertrieben sein, denn den Nennwerten stehen auf vielen Plattformen keine Handelsaktivitäten gegenüber, die ihre Wertangaben stützen könnten.

    Auf dem Höhepunkt der Modewelle beteiligten sich illustre Persönlichkeiten und Institutionen am Geschäft. Film- und Fernsehstarlets schürften eigene NFT-Kollektionen in Form von Fotos oder Videos. Natürlich waren auch Justin Bieber und Madonna und Paris Hilton mit dabei im Goldrausch. Nike schuf virtuelles Sportschuhwerk, Spitzenerlös für einen Schuh: 133.000 Dollar. Und selbst das ehrwürdige Magazin „Economist“ kreierte eine Titelseite als NFT und erlöste fast 422.000 Dollar, berichtet die Londoner „Times“. Alles geschlagen von dem in NFT-Form gegossenen ersten Tweet des Twitter-Gründers Jack Dorsey. Dieses Kunststück erlöste 2,9 Millionen Dollar. Das zumindest ist auch heute noch etwas wert – derzeit werden dafür gut 3.200 Dollar geboten, das ist mehr als nichts.

    Was den gegenwärtigen Stand angeht, so ermitteln die Dapp Gamble-Experten einige wesentliche Punkte, die gegen eine Geldanlage in NFTs sprechen. Da ist zum Beispiel der Energieverbrauch, der bei der Erzeugung der Kunstwerke anfällt, die wie alle Krypto-Erzeugnisse erst mühsam in schier endlosen Rechenoperationen „geschürft“ werden müssen, der Prozess ist unter dem englischen Begriff „mining“ bekannt. Der Ratschlag an die Erzeuger solcher NFTs ist danach auch, den Energieaufwand für nützliche Ergebnisse zu betreiben, also tatsächlich Wert zu schaffen in Hinblick auf Vermarktbarkeit und Originalität. Was im Auge des Betrachters liegt.

    Diese letzteren Eigenschaften könnten auch dazu führen, dass der Markt für die NFT-Technologie überlebt. Immerhin, so die Spekulation, könne man die Eindeutigkeit von NFTs dazu nutzen, seine Identität nachzuweisen, ohne dazu persönliche Daten preisgeben zu müssen. Da wird es allerdings interessant sein, den Ausgang eines Prozesses gegen Sotheby’s (und gegen Justin Bieber, Madonna und Paris Hilton wegen interessengeleiteter Werbung) abzuwarten. Das Auktionshaus, das 2021 mit NFTs rund 100 Millionen Dollar umsetzte, sieht sich einer Klage von düpierten Anlegern etwa versteigerter Affen-Karikaturen und anderer NFTs gegenüber, die den Beklagten vorwerfen, die Werke seien gar nicht an tatsächliche Investoren verkauft worden, sondern an die mittlerweile untergegangene Kryptobörse FTX. Durch Vorspiegeln eines falschen Eindrucks habe Sotheby’s den Markt verzerrt und liquider dargestellt, als er gewesen sei. Wie in jedem Goldrausch, gibt es offensichtlich nicht nur Leute, die Schaufeln verkaufen oder mit deren Hilfe schürfen, sondern auch solche, die ihren Mitmenschen damit eine überbraten.

    Sobald derlei Dinge zweifelsfrei geklärt sein werden, und das dürfte angesichts der klaren Identifizierbarkeit von NFTs eigentlich kein Problem sein, können sich Fans und Kenner durchaus ganz weltliche Anwendungen der Technologie vorstellen. Beispielsweise die Umwandlung einer Immobilie in einen NFT – mit dem Ziel, das Häuschen dann an alle Mitbietenden zu verkaufen. Für wirklich Überzeugte bietet sich die Möglichkeit, Kunst an die Wand ihres zu erwerbenden Heims im Cyberspace zu hängen, sei es nun Facebooks Meta Universe oder eine andere zukünftige zweite Heimat. Schließlich ließen sich noch Kunstwerke des Weltkulturerbes in Form von NFTs abbilden und speichern – etwaige Anschläge auf die Mona Lisa wären mithin bald undenkbar, katastrophale planetare Stromausfälle mal ausgenommen. Auch als banale Eintrittskarten lassen sich die Blockchain-Erzeugnisse verwenden, der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt, und im Internet schon gar nicht. Ein weiterer Vorteil, und Trost für die Eigentümer wertloser Werke: Im Gegensatz zu einer Aktiengesellschaft kann ein NFT nicht pleitegehen. Der Token bleibt, im Gegensatz zur Aktie einer untergegangenen Firma, und womöglich kommt dereinst eine Erbengeneration, die noch etwas damit anfangen kann.

    Reinhard Schlieker Reinhard Schlieker Der langjährige Wirtschaftsjournalist und Autor Reinhard Schlieker bringt einen breiten Fernsehhintergrund mit. 1991 ist Schlieker in die Redaktion des ZDF-Heute-Journals eingetreten. Im Jahr 2000 wechselte er in die Finanzredaktion des ZDF mit Livemoderationen von der Frankfurter Börse in den aktuellen Nachrichtensendungen. Für Millionen Fernsehzuschauer ist Schlieker das seriöse Gesicht der deutschen Börse. 2001 veröffentlichte er das Buch „Zwischen Reibach und Ruin“. Während der Finanzkrise 2008 arbeitete er zeitweise im Team des ZDF-Studios New York und ab 2010 des ZDF-Studios Washington mit. Schlieker war zuvor für den deutsch-britisch-schweizerischen European Business Channel mit Sitz in Zürich tätig, für den er zeitweise auch als Korrespondent aus Paris und London berichtete. weitere Beiträge

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    Author: Mary Silva

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