Der Hohn der Krypto-Bros ließ nicht lange auf sich warten. "Fiat is fragile", schrieb der Unternehmer und Bitcoin-Verfechter Erik Voorhees bei Twitter, als bekannt wurde, dass die Silicon Valley Bank (SVB) vor der Pleite steht. Mit Fiat meint Voorhees von Zentralbanken ausgegebene Währungen wie Dollar oder Euro. Der Kollaps der SVB zeige bloß, wie zerbrechlich diese seien – ganz im Gegensatz zu Kryptowährungen wie dem Bitcoin.
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Eine Finanzwelt ohne Zentralbanken, die über die Geldmenge bestimmen, und ohne Banken, die Konten verwalten und Transaktionen abwickeln – so kann man den Traum derer zusammenfassen, die in Blockchains und Kryptowährungen die Zukunft des Finanzsystems sehen. Jede und jeder bestimmt darin selbst über sein Vermögen, das System ist dezentral. Denn, so die Argumentation: Sobald es einen zentralen Mittler gibt, muss man diesem Vertrauen und gibt die Hoheit über sein Geld ab. Wozu das im Extremfall führen kann, zeigt eben die Pleite der SVB: Plötzlich ist das eigene Geld nicht mehr verfügbar.
Welche Risiken in einem zentralisierten Bankensystem stecken, ließ sich auch im Jahr 2008 beobachten, als einige wenige Pleiten die gesamte Finanzwelt erschütterten. Die folgende Krise lieferte den Vordenkern der Kryptobewegung genügend Anschauungsmaterial, wie es nicht laufen sollte. Eine Pleite wie die der Silicon Valley Bank ist deshalb ziemlich genau die Art von Krise, von der die Krypto-Enthusiasten meinen, dass sie in ihrer Geldutopie gar nicht passieren könnte. Aber wäre ein Kryptofinanzsystem wirklich stabiler?
Gehälter werden immer noch in Euro gezahlt
Wäre Bitcoin ein überall anerkanntes Zahlungsmittel, wären Banken tatsächlich nicht nötig – zumindest theoretisch. Menschen und Unternehmen könnten ihr Geld selbst aufbewahren, ähnlich wie das heute nur mit Bargeld möglich ist. Technisch gesprochen, würden die Coins in einer Wallet gespeichert. Diese Wallet kann zum Beispiel auf einen USB-Stick ausgelagert werden.
René Pickhardt glaubt deshalb, dass Bitcoin Probleme wie die bei der Silicon Valley Bank zumindest weniger gravierend machen könnten. "In einer Bitcoin-Welt muss niemand sein Geld bei einer Bank liegen haben", sagt er. Pickhardt ist Open-Source-Softwareentwickler, er arbeitet am Lightning-Netzwerk mit, einem System, das Bitcoin-Zahlungen schneller und effizienter macht. "Anders als bei Fiat-Geld kann man mit Bitcoin auch ohne Banken weltweite Transaktionen durchführen", sagt er.
Er sagt aber auch: "Bitcoin löst nicht alle Probleme des Bankings". Zum Beispiel könne es in einer Bitcoin-Welt immer noch passieren, dass sich jemand Bitcoin leiht und diese nicht zurückzahlen kann oder will. "Viele der Probleme, die wir haben, sind unabhängig von Technologie", sagt Pickhardt.
Betrachtet man nicht die ideale Kryptoutopie, sondern die Realität, stellen sich weitere Fragen. Denn in der Fiat-Welt lassen sich die puristischen Ideen vom selbstverwalteten Kryptovermögen gar nicht so leicht umsetzen. Gehälter werden im Normalfall in Euro ausgezahlt, seine Steuerschuld begleicht man ebenfalls in Euro. Der Alltag des überzeugtesten Bitcoiners ist also dennoch von Münzen, Scheinen und Euro-Überweisungen bestimmt. Dazu kommen noch ganz praktische Hürden, die ein Wallet auf dem USB-Stick mit sich bringt. Ein großer Teil der Kryptotransaktionen läuft deshalb nach wie vor über Handelsplätze wie Binance, Coinbase oder Kraken, die Euro und Dollar in Kryptowährungen tauschen. Viele Nutzerinnen und Nutzer haben auch ihr Guthaben bei solchen Börsen liegen, statt es tatsächlich in einer eigenen Wallet zu speichern. Puristen raten davon zwar ab – gemacht wird es trotzdem.
Auch die Welt der Kryptowährungen zentralisiert sich
So entstehen im vermeintlich dezentralen Geldsystem Kräfte, die die Vermögen doch wieder zu einigen wenigen Knotenpunkten wandern lassen. Und damit wird es wieder anfällig für Krisen. Die zentralen Handelsplätze erfüllen eine ähnliche Funktion wie Banken. Sie kümmern sich um die Abwicklung von Transaktionen und sie verwalten das Geld ihrer Kundinnen und Kunden. Auch hier kann es Bank Runs geben und sie können spektakulär pleitegehen – das zeigte zuletzt eindrücklich der Fall der Kryptobörse FTX. Nach diversen Skandalen brach der Handelsplatz des Gründers mit Wunderkindruf Sam Bankman-Fried zusammen. Man sprach in der Folge vom sogenannten Kryptowinter, der Kurs des Bitcoins fiel von mehr als 40.000 Euro Anfang 2022 auf zwischenzeitlich nur noch 16.000 Euro.
Wer heute Kryptowährungen hält, habe sich zwar längst an die regelmäßigen Aufschwünge und Abstürze gewohnt, sagt Gilbert Fridgen, Professor für Digitale Finanzdienstleistungen an der Universität Luxemburg. "Pleiten gehören zur Geschichte von Krypto einfach dazu." Der ganze Markt sei höchst spekulativ und wenig reguliert, investiert seien mittlerweile vor allem Menschen, die besonders risikobereit sind. "Krypto lohnt sich für alle, die kein Problem damit haben, Geld zu verlieren", sagt Fridgen. Die starken Schwankungen der beliebtesten Währung machen sie aber zu einem denkbar schlechten Zahlungsmittel – und in Krisenzeiten nicht zum Stabilitätsanker.
Und so ist der Bitcoin derzeit vor allem ein Spekulationsobjekt. In der vergangenen Woche fiel der Kurs, nachdem die Silvergate Bank pleiteging. Nachdem die US-Einlagensicherung die Silicon Valley Bank gerettet hatte, stieg er im Verlauf des Tages wieder auf mehr als 24.000 Euro. Wie viel er in einem Jahr oder gar in zehn wert sein wird? Das weiß niemand. Auch wenn die bekannte Fondsmanagerin Cathie Wood das anders sieht: Sie hat kürzlich prognostiziert, im Jahr 2030 könnte der Bitcoin-Kurs bei knapp 1,5 Millionen Dollar liegen. Selbst ihre pessimistische Schätzung sieht einen Preis von mehr als 250.000 Dollar pro Bitcoin. Gilbert Fridgen wird bei solchen Aussagen vorsichtig: "Wenn sie wirklich daran glaubt, dass sich der Preis einer Kapitalanlage verzehnfachen bis verhundertfachen soll – dann frage ich mich, warum Cathie Wood dann nicht ihr gesamtes Geld in Bitcoin investiert."
Kryptowährungen funktionieren nicht ohne das Fiat-Bankensystem
Nach den jüngsten Pleiten im Bankenmainstream zeigt sich noch ein weiteres Phänomen, das zumindest kurzfristige Zweifel an der Stabilität der Kryptowelt aufkommen lässt. Das heute bestehende dezentrale System ist noch stark abhängig vom ganz normalen Finanzbetrieb. Beginnen dort die Banken zu wackeln, erschüttert das auch die Kryptowelt. Erstes Beispiel: Die Silicon Valley Bank hielt mehr als drei Milliarden Dollar von Circle, einem Unternehmen, das einen sogenannten Stablecoin herausgibt, der stets einen Dollar wert sein soll.
Theoretisch sollen diese wertstabilen Kryptowährungen den Handel innerhalb des Kryptouniversums erleichtern und dezentrale Finanzdienstleistung möglich machen. Aber auch die Stablecoins können in sich zusammenfallen, wie zuletzt der Crash von TerraUSD gezeigt hat. Diese Gefahr drohte nach der SVB-Pleite nun auch dem Stablecoin von Circle, der Kurs sackte auf weniger als 85 Cent ab. Weil die US-Einlagensicherung eingriff und auch die Circle-Milliarden auf den SVB-Konten garantierte, erholte sich auch der Stablecoin wieder. "Es ging glimpflicher aus, weil die Einlagensicherung geholfen hat", sagt Philipp Sandner von der Frankfurt School of Finance. Aber der Kryptoforscher ist sich sicher: "Circle hätte auch so überlebt." Schließlich hatte das Unternehmen an sich sein Versprechen gehalten, die nötigen Dollar vorzuhalten, um den Wert seines Coins zu garantieren. Es hatte nur auf die falsche Bank gesetzt.
Problematischer ist für Sandner, dass auch neben der SVB noch zwei kryptoaffine Banken bankrottgegangen sind: die Signature Bank und die Silvergate Bank. Das sei für die Kryptoszene schlecht, denn dadurch seien zwei wichtige Schleusen für Geldflüsse in Euro oder Dollar zu den Kryptounternehmen und Handelsplätzen zerstört worden. Für die dezentrale Welt war das eine wichtige Infrastruktur, um Geld zu sammeln und auszahlen zu können. Bleiben die Pforten ins Kryptoreich geschlossen, könnte der Mittelfluss nach und nach versiegen, sagt Philipp Sandner. "Deshalb braucht Krypto weiterhin das etablierte System, um zu wachsen." Irgendwoher muss das frische Geld schließlich kommen.
Author: Emily Baker
Last Updated: 1698288722
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